Die chemische Industrie könnte völlig klimaneutral werden

08. April 2020
Die chemische Industrie könnte völlig klimaneutral werden

Zusammenfassung

Der Bundesrat hat beschlossen, dass die Schweiz bis 2050 kohlenstoffneutral werden soll. Studie: Das Ziel, in der chemischen Industrie netto null CO2-Emissionen zu erreichen, ist durchaus erreichbar. Alle drei Konzepte benötigen mehr Energie (in Form von Strom) als die heutigen Produktionsmethoden. Eine letzte Option wäre die Verwendung von Biomasse (Holz, Zuckerpflanzen, Ölpflanzen) als Rohstoff. Das Forschungsprojekt wurde vom Schweizerischen Kompetenzzentrum für Energieforschung - Effizienz industrieller Prozesse (SCCER-EIP) finanziert.

Die Studie trägt auch zur Diskussion über zukünftige Flugzeugtreibstoffe bei, Marco Mazz

Die Studie zeigt, dass es mindestens zwei gangbare Alternativen zu synthetischen Treibstoffen gibt: Die Luftfahrt könnte weiterhin fossile Treibstoffe verwenden, wenn das von den Flugzeugen ausgestossene CO2 an anderer Stelle aufgefangen und gespeichert würde, oder die Treibstoffe könnten aus Biomasse gewonnen werden. Die Arbeit von Mazzotti und dem Bundesamt für Energieforschung wird von SCCER.ORG und dem PSI finanziert.

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Die chemische Industrie könnte völlig klimaneutral werden

Die chemische Industrie könnte klimaneutral werden, zeigen neue Untersuchungen.

Der Schweizer Bundesrat hat beschlossen, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral werden soll. Für den Autoverkehr und den gesamten Energiesektor mag das herausfordernd sein, aber nicht unmöglich - zum Beispiel mit einer konsequenten Elektrifizierung und der ausschließlichen Nutzung klimaneutraler Energieträger.

Schwieriger wird eine solche Umstellung für die chemische Industrie sein. Während für viele andere Industriezweige vor allem die Energieeffizienz im Vordergrund steht, muss sich die chemische Industrie auch mit der Rohstofffrage auseinandersetzen.

"Polymere,Kunststoffe, synthetische Textilfasern und Medikamente enthalten alle Kohlenstoff. Irgendwoher muss er ja kommen", erklärt Marco Mazzotti, Professor für Verfahrenstechnik an der ETH Zürich. Heute stammt der überwiegende Teil dieses Kohlenstoffs aus Erdöl und Erdgas. Bei der Produktion und wenn die chemischen Produkte verbrannt werden oder sich am Ende ihrer Lebensdauer zersetzen, setzen sieCO2 frei.

Anhand konkreter Zahlen und der Methanolproduktion als Fallbeispiel haben Mazzotti und Kollegen von der ETH Zürich und der Universität Utrecht nun systematisch verschiedene Ansätze verglichen, die darauf abzielen, dieNetto-CO2-Emissionen der chemischen Industrie auf Null zu reduzieren. Die wichtigste Schlussfolgerung aus der neuen Studie ist, dass das Ziel,Netto-CO2-Emissionen in der chemischen Industrie auf Null zu reduzieren, tatsächlich erreichbar ist.

Alle in der Studie untersuchten Ansätze zur Erreichung dieses Ziels haben jedoch sowohl Vor- als auch Nachteile, die sich in verschiedenen Regionen der Welt unterschiedlich manifestieren. Zudem benötigen alle drei Konzepte mehr Energie (in Form von Strom) als die heutigen Produktionsverfahren.

 

Die drei von den Forschern vorgeschlagenen Methoden lauten wie folgt:

 

  • Ein Ansatz besteht darin, fossile Ressourcen weiterhin als Rohstoffe zu nutzen, aber dieCO2-Emissionen systematisch abzufangen und unterirdisch zu lagern (Carbon Capture and Storage, CCS). Der große Vorteil dabei ist, dass die heutigen industriellen Produktionsprozesse nicht verändert werden müssten. Allerdings müssen die Speicherstätten geologisch geeignet sein und zum Beispiel tiefe, salzwasserhaltige Sedimentschichten bieten. Solche Standorte sind nicht überall auf der Welt zu finden.
  • Ein anderer Ansatz sieht vor, dass die Industrie den Kohlenstoff ausCO2 nutzt, das im Vorfeld aus der Luft oder aus Industrieabgasen abgeschieden wurde. Dieser Prozess wird als Carbon Capture and Utilization (CCU) bezeichnet. Der für chemische Produkte benötigte Wasserstoff könnte mit Hilfe von Strom aus Wasser gewonnen werden. Dieser Ansatz würde eine große Umstellung der chemischen Produktionsprozesse und den Umbau großer Teile der industriellen Infrastruktur erfordern. Außerdem werden extrem große Mengen an Strom benötigt - sechs- bis zehnmal mehr als bei CCS. "Diese Methode ist nur in Ländern mit einem kohlenstoffneutralen Strommix zu empfehlen", erklärt Mazzotti. "Wir zeigen deutlich, dass die Nutzung großer Strommengen aus Kohle- oder Gaskraftwerken in der Tat viel schlechter für das Klima wäre als die derzeitige Produktionsmethode auf Basis fossiler Brennstoffe."
  • Eine letzte Option wäre die Nutzung von Biomasse (Holz, Zuckerpflanzen, Ölpflanzen) als Rohstoff für die chemische Industrie. Obwohl diese Methode weniger Strom benötigt als die anderen, ist sie mit einer sehr intensiven Landnutzung verbunden, umdie Pflanzen anzubauen - es wird 40 bis 240 Mal mehr Land benötigt als bei den anderen Ansätzen.

 

Mazzotti und seine Co-Autoren haben sich bei ihrer Studie auf die Herstellung von Methanol gestützt, die dem Verfahren zur Herstellung von Kraftstoffen ähnlich ist.

Ihre Arbeit fließt daher auch in die Diskussion um zukünftige Flugzeugtreibstoffe ein, sagt Mazzotti. "Wir hören immer wieder, auch von Experten, dass der einzige Weg, wie die Luftfahrt kohlenstoffneutral werden kann, der Einsatz von synthetischen Kraftstoffen ist", sagt er. "Aber das ist nicht wahr."

Die Herstellung von synthetischen Treibstoffen ist ein extrem energieintensiver Prozess. Würde man dafür Strom aus Kohle- oder Gaskraftwerken verwenden, hätten synthetische Kraftstoffe einen noch größeren Kohlenstoff-Fußabdruck als fossile Kraftstoffe. Die Studie zeigt, dass es mindestens zwei praktikable Alternativen zu synthetischen Kraftstoffen gibt: Die Luftfahrt könnte weiterhin fossile Kraftstoffe verwenden, wenn das von den Flugzeugen emittierteCO2 an anderer Stelle aufgefangen und gespeichert würde, oder die Kraftstoffe könnten aus Biomasse gewonnen werden.

Die Studie erscheint inIndustrielle und technische Chemieforschung.

Dieses Forschungsprojekt wurde vom Schweizerischen Kompetenzzentrum für Energieforschung - Effizienz industrieller Prozesse (SCCER-EIP) und dem Schweizer Bundesamt für Energie gefördert.

Quelle: ETHZürich via FUTURITY. ORG

Original-Studie DOI: 10.1021/acs.iecr.9b06579

 


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