Digitales Matchmaking für industrielle Nachhaltigkeit: Wie Wissensplattformen die Kreislaufwirtschaft ermöglichen

14. März 2025 von Jürgen Ritzek
Digitales Matchmaking für industrielle Nachhaltigkeit: Wie Wissensplattformen die Kreislaufwirtschaft ermöglichen

Zusammenfassung

Industrielle Symbiosen werden eher durch Herausforderungen im Informationsmanagement als durch technologische Beschränkungen behindert. Das CORALIS-Webinar unterstrich die Notwendigkeit eines effektiven Wissensmanagements, um industrielle symbiotische Beziehungen zu initiieren und zu erhalten. Trotz 32 digitaler Tools, die seit 2016 entwickelt wurden, ist ihre Wirksamkeit in der Praxis noch ungewiss. Im Rahmen des Sharebox-Projekts wurden intelligente Empfehlungssysteme entwickelt, die Unternehmen mit einer maximalen Genauigkeit von 33 % vorschlagen, wie sie Ressourcen und Abfälle miteinander in Einklang bringen können, was jedoch durch Datenknappheit, Datenschutzbedenken und eine uneinheitliche Abfallklassifizierung eingeschränkt wird. Die wirtschaftliche Tragfähigkeit erfordert auch die Berücksichtigung von Transport-, Behandlungs- und Transaktionskosten.

 

Aus Sicht der Industrie birgt die Abhängigkeit von persönlichen Netzwerken, wie in Griechenland, Risiken und schränkt die Reichweite von Partnerschaften ein. Digitale Plattformen werden vorgeschlagen, um menschliche Beziehungen zu ergänzen, nicht zu ersetzen. Das CORALIS-Projekt legt den Schwerpunkt auf einen nutzerzentrierten Ansatz mit Matching-Mechanismen, Gemeinschaftsforen und Wissensspeichern und strebt die Integration in bestehende Geschäftssysteme an.

 

Es wird erwartet, dass regulatorische Fortschritte, wie die bevorstehende Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) und die europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS), die Bedingungen für digitale Wissensplattformen fördern, indem sie detaillierte, digital gekennzeichnete Nachhaltigkeitsberichte vorschreiben.

 

Der Erfolg solcher Plattformen wird wahrscheinlich von der Vertrauensbildung, benutzerfreundlichen Schnittstellen, standardisierten Datenformaten, der Berücksichtigung von Transportkosten und einem Gleichgewicht zwischen Automatisierung und persönlicher Interaktion abhängen. Zukünftige Symbiosen könnten Technologien zur Herstellung erster Verbindungen mit menschlichen Bemühungen zur Aufrechterhaltung dieser Verbindungen kombinieren, die durch politisch motivierte Datentransparenz und Standardisierung beschleunigt werden.

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Digitales Matchmaking für industrielle Nachhaltigkeit: Wie Wissensplattformen die Kreislaufwirtschaft ermöglichen

Die Informationsherausforderung bei industriellen Symbiosen

Das grundlegende Hindernis für eine weit verbreitete industrielle Symbiose ist nicht die technische Machbarkeit, sondern das Informationsmanagement. Wie Murat Mirata von der BL Shipping University während des CORALIS-Webinars betonte, ist ein effektives Wissensmanagement während des gesamten Lebenszyklus einer Symbiose von entscheidender Bedeutung - von der Identifizierung von Chancen bis zur Pflege langfristiger Partnerschaften.

Seit 2016 wurden mindestens 32 digitale Tools zur Bewältigung dieser Herausforderung entwickelt, häufig mit Unterstützung öffentlicher Mittel. Eine entscheidende Frage bleibt jedoch bestehen: Wie effektiv sind diese Plattformen bei der Förderung der industriellen Symbiose in der Praxis?

Digitale Tools für Matchmaking und Bewertung

Intelligente Empfehlungssysteme

Yu-eun De Mazan (Universität Twente) stellte die Ergebnisse des Sharebox-Projekts (2015-2020) vor, in dem eine IT-Plattform zur Förderung industrieller Symbiosen entwickelt wurde. Im Rahmen des Projekts wurden intelligente Empfehlungssysteme - ähnlich denen von Netflix oder YouTube - entwickelt:

  • Assoziationsregel-Mining
  • Hierarchisches agglomeratives Clustering
  • Input-Output-Matching-Algorithmen
  • Fallbasierte Argumentation

Diese Systeme zielten darauf ab, potenzielle Übereinstimmungen zwischen Unternehmen im Bereich Abfall und Ressourcen vorzuschlagen. Sie erreichten jedoch nur eine maximale Genauigkeit von 33 %, was vor allem auf Folgendes zurückzuführen ist

  1. Begrenzte Datenverfügbarkeit
  2. mangelnde Bereitschaft der Unternehmen, Abfallinformationen weiterzugeben
  3. Mangel an standardisierten Abfallklassifizierungssystemen

Wirtschaftliche Bewertungsinstrumente

Die erfolgreiche Identifizierung potenzieller Übereinstimmungen ist nur der erste Schritt. Die Unternehmen müssen dann die wirtschaftliche Tragfähigkeit bewerten und dabei nicht nur die direkten Einsparungen, sondern auch die von De Mazan so genannten "drei T" berücksichtigen:

  • Transportkosten
  • Anforderungen an die Behandlung
  • Transaktionskosten

Um diese Komplexität zu bewältigen, hat Sharebox das "Fair Cost and Benefit Sharing Tool" (COSTES) entwickelt, das mit Hilfe der Spieltheorie und der agentenbasierten Modellierung die kollektiven wirtschaftlichen Vorteile der Zusammenarbeit gegenüber dem Wettbewerb aufzeigt.

Perspektive der Industrie: Gleichgewicht zwischen Technologie und zwischenmenschlichen Beziehungen

Nikos Kufodontis (Athener Brauerei) vermittelte wertvolle Einblicke aus der Sicht der Wirtschaft und wies darauf hin, dass industrielle Symbiosen in Griechenland zwar bereits existieren, aber in der Regel eher auf individuellen Verbindungen als auf systematischen Ansätzen beruhen. Diese Abhängigkeit von persönlichen Netzwerken:

  • führt zu Kontinuitätsrisiken, wenn Schlüsselpersonen ausscheiden
  • beschränkt potenzielle Partnerschaften auf bestehende Verbindungen
  • schließt Organisationen aus, denen es an internen Netzwerkkapazitäten mangelt

Kufodontis plädierte dafür, dass digitale Plattformen das menschliche Element in der industriellen Symbiose ergänzen und nicht ersetzen sollten. Er stellte sich ein "Tinder-Konzept für die Industrie" vor - eine benutzerfreundliche Plattform mit umfassenden Datenströmen und automatisierten Matching-Algorithmen, die Kooperationsmöglichkeiten auf der Grundlage von Abfallaufkommen und Ressourcenbedarf identifizieren können.

Aufbau einer umfassenden digitalen Infrastruktur

Stella Yali und Haralabos Manis vom ICCS stellten ihre Arbeit zur Entwicklung von Informations- und Wissensmanagement-Tools im Rahmen des CORALIS-Projekts vor. Ihr nutzerzentrierter Ansatz konzentrierte sich auf drei Kernmodule:

  1. Matchmaking-Mechanismus zur Ermittlung kompatibler Abfall-Ressourcen-Paare
  2. Gemeinschaftsforum zur Vernetzung und Kommunikation
  3. Wissensspeicher zur Dokumentation erfolgreicher und nicht erfolgreicher Fälle

Ihr Rahmenwerk bewertete potenzielle Synergien auf der Grundlage von technischer Kompatibilität, Einhaltung von Vorschriften und Umweltauswirkungen. Wichtig ist, dass sie die Integration dieser Funktionen in die bestehenden Geschäftssysteme der Unternehmen betonten, anstatt eigenständige Plattformen zu schaffen.

Regulatorische Triebkräfte und Datenstandardisierung

Regulatorische Entwicklungen schaffen günstige Bedingungen für digitale Wissensplattformen. Stella Yali betonte, dass viele Unternehmen bereits Umweltdaten austauschen:

  • Digitale Abfallregister
  • Informationssysteme zur Freisetzung von Schadstoffen
  • Berichterstattung über Treibhausgasemissionen

Die bevorstehende Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) wird diesen Trend noch erheblich verstärken, da sie 50.000 europäische Unternehmen dazu verpflichtet, detaillierte Nachhaltigkeitsberichte auf der Grundlage der Europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) zu erstellen. Der Standard für Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft (ESRS E5) wird digital gekennzeichnete, interoperable Daten über Ressourcenflüsse und Abfallaufkommen vorschreiben und damit eine reichhaltige Grundlage für die Identifizierung von Symbiose-Möglichkeiten schaffen.

Wichtige Erfolgsfaktoren für digitale Plattformen

Ausgehend von den Erkenntnissen der Experten erweisen sich mehrere Faktoren als entscheidend für effektive digitale Wissensplattformen:

  • Vertrauensbildende Mechanismen zur Förderung des Datenaustauschs
  • Benutzerfreundliche, in bestehende Geschäftsprozesse integrierteSchnittstellen
  • Standardisierte Daten-Ontologien für die Abfallklassifizierung
  • Berücksichtigung der Nähe, um Transportkosten zu reduzieren
  • Gleichgewicht zwischen Automatisierung und menschlichen Beziehungen

Der Weg nach vorn: Digital-menschliche Symbiose

Die Erfahrungen aus ausgereiften industriellen Symbiose-Netzwerken wie Kalundborg, Dänemark, zeigen, dass die anfänglichen Partnerschaften zwar auf persönlicher Kommunikation und Vertrauen beruhen können, dass aber mit der Ausweitung der Netzwerke digitale Werkzeuge immer notwendiger werden. Die Zukunft der industriellen Symbiose hängt wahrscheinlich von einer symbiotischen Beziehung zwischen digitalen Plattformen und menschlicher Interaktion ab - wobei die Technologie die ersten Verbindungen herstellt und die Menschen die dauerhafte Zusammenarbeit aufbauen, die für eine Kreislaufwirtschaft notwendig ist.

In dem Maße, wie Vorschriften eine größere Transparenz und Datenstandardisierung vorantreiben, wird das Potenzial digitaler Plattformen zur Beschleunigung der industriellen Symbiose nur zunehmen. Für Unternehmen, die einen Wettbewerbsvorteil anstreben und gleichzeitig ihre Nachhaltigkeitsziele vorantreiben wollen, stellen diese Plattformen eine wichtige Möglichkeit dar, Abfallprobleme in wertvolle Ressourcen zu verwandeln.

Referenzen

  1. CORALIS EU-Projekt. (2023). "CORALIS learnings webinar #3: Digital knowledge platforms for industrial symbiosis (pt1)." YouTube. Verfügbar unter: https: //youtu.be/Q--C7b7eEAw?si=w_rgGSUnzk294hJj
  2. Mirata, M. (2023). "The Role of Information Management in Industrial Symbiosis" (Die Rolle des Informationsmanagements in der industriellen Symbiose). Vortrag bei CORALIS learnings webinar #3, BL Shipping University.
  3. De Mazan, Y. (2023). "Smart Recommender Systems for Industrial Symbiosis". Vortrag bei CORALIS learnings webinar #3, Universität Twente.
  4. Enitan, I. (2023). "Digital Platforms for the Construction Industry". Vortrag bei CORALIS learnings webinar #3, Universität Twente.
  5. Kufodontis, N. (2023). "Industry Perspective on Digital Knowledge Platforms". Präsentation bei CORALIS learnings webinar #3, Athenian Brewery.
  6. Yali, S. und Manis, H. (2023). "Informations- und Wissensmanagement-Tools für die industrielle Symbiose". Präsentation bei CORALIS learnings webinar #3, ICCS.
  7. Europäische Kommission. (2022). "Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)". Amtsblatt der Europäischen Union.
  8. Europäische Beratergruppe für Rechnungslegung. (2023). "Europäische Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) E5: Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft."

 


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